Sabine Brandenburg. Foto: Patrick Seeger

Alumna Sabine Brandenburg führt blinde und sehbehinderte Menschen durchs Uniseum

Wie schwer war das erste Zepter der Freiburger Universität? Wie fühlt sich der Stoff der Talare ehemaliger Professoren an? Gelingt es, das Alter verschiedener Mauersteine zu ertasten? Normalerweise bleiben solche Fragen im Museum unbeantwortet, denn die wertvollen Ausstellungsgegenstände sind zu ihrem Schutz sicher in Vitrinen verwahrt oder mit „Nicht berühren!“-Schildern versehen. Um die Geschichte der Universität Freiburg mehr Menschen zugänglich zu machen, durchbricht Sabine Brandenburg diese Barriere. Seit Herbst 2022 bietet sie im Uniseum Führungen für blinde und sehbehinderte Menschen an.

Sabine Brandenburg. Foto: Patrick Seeger

Im Uniseum dürfen blinde und sehbehinderte Menschen den Stoff eines Talars betasten, wie ihn die Professoren der Universität Freiburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts trugen. Foto: Patrick Seeger

Die Idee für dieses neue Führungsformat kam Sabine Brandenburg während eines Praktikums im Uniseum, das Teil ihres Masterstudiums in Kunstgeschichte war. Es war das Corona-Jahr 2020, die Museen waren geschlossen und Brandenburg hatte Zeit, kreativ zu werden. „Mein Stiefsohn ist seit einigen Jahren sehbehindert“, erzählt sie. „Früher ging er gerne in Museen, heute ist er der Meinung: Das ist nichts für mich. Daher habe ich mich hier im Uniseum umgeschaut und gedacht: Es geht sehr wohl, die Ausstellung auch für sehbehinderte Menschen erfahrbar zu machen.“ Umgesetzt wurden die Ideen in einem Praktikum im Jahr 2022. Gemeinsam mit dem damaligen Uniseumsdirektor Prof. Dr. Dieter Speck gräbt Brandenburg im Depot nach Gegenständen aus allen Epochen, die sich zum Betasten und Befühlen eignen. Sie liest sich in inklusive Museumspädagogik ein, recherchiert zu internationalen Ansätzen. Schließlich entwickelt sie einen Rundgang zu ausgewählten Stationen des Uniseums. Einige Bilder und kunsthandwerkliche Gegenstände beschreibt sie, manches darf mit Handschuhen betastet werden. Teil der Führung ist auch ein Gang in den Keller. Der unebene Boden aus Kieseln des Freiburger Flusses Dreisam, das gedämpfte Rattern der Straßenbahn und der Hall von Stimmen im Gewölbe vermitteln ein Gefühl für das Alter dieses Teils der Universität. Für ihre Konzeptidee holt sich Sabine Brandenburg Feedback von Mischa Knebel, dem Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenvereins Südbaden. Knebel ist selbst blind und er ist der erste, den Brandenburg durch das Uniseum führt. „Es war ein total schöner Moment, als er danach zu mir gesagt hat: Sie sind soweit, legen Sie los!“

Mehr Uni-Geschichten zum Anfassen

Seitdem hat Brandenburg schon von vielen weiteren Besucher*innen positive Rückmeldungen bekommen. Einige wollen gerne wiederkommen, fragen, ob sie weitere Ausstellungsstücke zum Anfassen hat. Bei der Eröffnung des Akademischen Jahres 2023/2024 bekam Brandenburg den Sonderpreis für herausragendes studentisches Engagement der Universität Freiburg, dotiert mit 500 Euro. Dieses Preisgeld möchte sie unter anderem in einen 3D-Druck der Rektor*innenkette und einen tastbaren Grundriss des Gebäudekomplexes investieren, die dann in ihre Uniseumsführung integriert werden soll. Außerdem plant sie, zukünftig auch Führungen für Sehbehinderte durch andere historische Teile der Universität wie das Kollegiengebäude I in der Stadtmitte oder den Karzer anzubieten. Um das Angebot zu verstetigen und auszuweiten, schult sie ihre Uniseums-Kolleg*innen.

Zu den Museumsobjekten zum Anfassen gehören Schloss und Schlüssel einer Truhe, die zunächst zum Transport wichtiger Dokumente diente, später dann als Aktenschrank verwendet wurde (oben links und mittig). Die eingeritzten Namen an den Mauersteinen stammen aus einer Zeit im 20. Jahrhundert, in der der Keller des Uniseums als Partyraum genutzt wurde (oben rechts). Auf nachgebauten Sitzbänken kann man körperlich nachempfinden, wie sich ein Studium im Mittelalter angefühlt hat (unten). Fotos: Patrick Seeger

Ihr Masterstudium hat Brandenburg 2023 abgeschlossen. Für ihre Masterarbeit waren ihre Erfahrungen aus den Führungen und ihre Recherchen hilfreich. Sie beschäftigte sich mit dem Gemälde „Isenheimer Altar“ von Matthias Grünewald und zeigte, dass es möglich ist, daran theoretische kunsthistorische Überlegungen zu Licht auch Menschen mit Sehbehinderung zu vermitteln. Unter anderem ist sie dafür mit einem sehbehinderten Mann zu dem Altar nach Colmar gereist. „Generell ist das ganz große Credo im Bereich der Inklusion: Nicht für uns ohne uns. Sowohl die Führungen als auch Forschung dazu funktioniert nur im Austausch mit Betroffenen. So tastet man sich gemeinsam voran“, sagt Brandenburg.

Informationen und Kontakt

Die Führungen für sehbehinderte und blinde Menschen im Uniseum finden monatlich statt, die aktuellen Termine sind hier aufgelistet. Auch individuelle Termine sind möglich. Um sich anzumelden und für weitere Informationen erreicht man das Uniseum per E-Mail oder telefonisch unter 0761 / 203 3835.